Im September 2012 begann eine große Diskussion über Altersarmut in Deutschland. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen warnte davor, dass viele Menschen nach Ende ihres Erwerbslebens in die Grundsicherung rutschen würden, sollte sich der aktuelle Trend der Lohnentwicklung und der Demographie fortsetzen. Die schwarz-gelbe Koalition beschloss deshalb eine ‚Lebensleistungsrente‘, deren konkrete Umsetzung allerdings noch aussteht. Doch die entscheidende Frage lautet: Ist die Hektik, mit der über die Altersarmut in Deutschland diskutiert wird, eigentlich gerechtfertigt?
Ab wann ist man eigentlich arm?
In der politischen Diskussion vermischen sich verschiedene Armutsbegriffe, die wieder entwirrt werden müssen. Oft hat man den Eindruck, man sei dann arm, wenn man in die Grundsicherung, also in das sogenannte Hartz IV, rutsche. Tatsächlich ist der Armutsbegriff in Deutschland jedoch anders und gilt auch für das Alter: Arm ist jeder, der höchstens 60 Prozent des monatlichen Durchschnittseinkommens der Bundesbürger zur Verfügung hat.
Konkret sind dies derzeit 952 Euro. Der paritätische Gesamtverband, an dem sich auch die Bundesregierung orientiert, zieht den Mikrozensus heran und legt die Armutsgrenze auf 848 Euro. Die ‚Lebensleistungsrente‘ soll monatlich 850 Euro garantieren. Die Grundsicherung garantiert umgerechnet rund 800 Euro. Diese Summe erfolgt aber nicht komplett als Barauszahlung, sondern beinhaltet die Mietkosten, die das Amt direkt an den jeweiligen Vermieter überweist.
Der gegenwärtige Umfang der Altersarmut
Der vierte Armutsbericht der Bundesregierung zeigt, dass Altersarmut in Deutschland derzeit eigentlich kein besonders ernstes Problem ist. Ende 2011 waren demnach etwa 436.000 Menschen, die älter als 64 Jahre waren, in der Grundsicherung. Nur 2,6 Prozent der Über-64-Jährigen sind damit momentan von drängender Altersarmut betroffen. In Zukunft soll sich das Problem allerdings verschlimmern. Da sich die Demographie immer weiter zu Gunsten der Älteren verschiebt, könnten die Renten sinken. Wie ernst das Problem allerdings tatsächlich wird, darüber herrscht Streit.
Bundeswirtschaftsministerium: Armut im Alter wird kein gesamtgesellschaftliches Problem
Der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums ist zum Beispiel davon überzeugt, dass die Altersarmut in Deutschland kein ernstes gesamtgesellschaftliches Problem darstellen wird.
Selbst bei einer „äußerst ungünstigen Entwicklung am Arbeitsmarkt“ werde der Anteil der Rentner, die in die Grundsicherung rutschen, im Jahr 2030 allerhöchstens fünf Prozent betragen, ist dieser sicher. Der „extreme Pessimismus“, der momentan vielerorts vorherrsche, stehe „im krassen Gegensatz zur Wirklichkeit“, so die Autoren der Studie.
Tatsächlich fand die Untersuchung auch heraus, dass 38 Prozent aller deutschen Haushalte ernsthafte Sorgen haben, in die Altersarmut abzurutschen. Diese Ängste hätten größtenteils keinen realen Hintergrund. Fürchten müssten sich nur Personen mit extrem gebrochenen Erwerbsbiographien, schildern die Experten.
Armutsforscher: Altersarmut ist schon jetzt ein akutes Problem
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat die Situation auf Nachfrage der ‚Tagesschau‘ völlig anders bewertet. Altersarmut sei schon jetzt ein massives Problem. Die Dunkelziffer bei der Grundsicherung im Alter liege eigentlich schon jetzt bei 60 Prozent, ist der Experte überzeugt. Dies bedeutete, dass sechs von zehn Rentnern mit weniger monatlichem Einkommen lebten, als die Grundsicherung garantieren würden.
Alte scheuten sich jedoch oft, zum Amt zu gehen. Zudem wüssten sie vielfach gar nicht, dass es entsprechende Leistungen gebe. Schon heute hätten 760.000 Menschen, die älter als 64 seien, einen Minijob, um über die Runden zu kommen. 120.000 von diesen seien sogar älter als 75. Diese Werte würden sich in Zukunft noch einmal deutlich vergrößern.